Bio-Fleisch als Trend in Zeiten von Corona
von grau sucht grün

01.08.2020grau sucht grün informiert:

Bio-Fleisch als Trend in Zeiten von Corona

Viele Argumente sprechen für Bio-Fleisch – auch in Bezug auf die Schlachtung

Fleischfabrikant Clemens Tönnies beurteilt die 2000 Corona-Fälle in seinem Betrieb als einen bedauerlichen Unfall. Für die Konsequenzen will er zwar die Verantwortung tragen, für den Ausbruch des Virus in seinem Betrieb sieht er sich selbst jedoch nicht verantwortlich. Viele Verbraucher ziehen ihre Schlüsse aus dem Skandal und kaufen vorzugsweise Bio-Fleisch ein. Doch wo lassen eigentlich Biohöfe schlachten? Und herrschen in kleineren Schlachtereien strengere Hygieneauflagen? Grau sucht grün hat bei Demeter, Deutschlands ältestem Bioverband und bei einem Bremer Bio-Fleischbetrieb nachgefragt.

Schumachers Biohof in Bremen Borgfeld bietet ausschließlich Fleisch von Tieren aus eigener Haltung an. Jeden Freitag und Samstag hat der Hofladen geöffnet, in dem es vom Schnitzel bis zur Bratwurst alles gibt, was das Fleischliebhaber-Herz begehrt. Auch wenn die Theke und der Eisschrank für die Kunden prall gefüllt  sind – hier werden Fleisch und Wurst in völlig anderen Dimensionen als in einem Großbetrieb produziert. »Wir bringen pro Monat nur ein bis zwei Rinder zum Schlachter, entsprechend der Nachfrage«, gibt Landwirtin Schumacher Auskunft. »Uns ist es besonders wichtig, dass die Tiere, die wir schlachten lassen, vollständig verwertet werden. Außerdem möchten wir den Stress für die Kühe reduzieren und arbeiten deshalb mit einer zertifizierten Schlachterei in Kirchweyhe zusammen, die nur etwa 40 Kilometer entfernt liegt. Einem Kleinbetrieb mit einer Handvoll Festangestellter. Dort bringen wir die Tiere persönlich hin.«

 

Nicht alle Biobetriebe profitieren von der Corona-Krise 

Schumachers sind zufrieden mit der Zusammenarbeit. Denn nicht nur die Ernährung und Haltung der eigenen Tiere spiegelt sich in der Fleischqualität wieder, sondern auch die Professionalität der Zerlegung im Schlachtbetrieb. Auch die Kunden schätzen die Qualität. Im letzten halben Jahr hat sich Schumachers Umsatz verdoppelt. »Wir haben tatsächlich von der Corona-Krise profitiert«, stellt die Landwirtin fest. Seit den Masseninfektionen in Großbetrieben sind Konsumenten wachsamer geworden und kaufen lieber Bioprodukte anstatt Billigfleisch. Dafür stehen sie auch freiwillig Schlange vor der Hofladentür.« Allerdings haben Schumachers Glück. Biohöfe, deren Hauptabnehmer Schulen und Gastronomen sind, haben in Zeiten von Corona wirtschaftlich stark zu kämpfen. 

Nachlässiger sind die Hygienerichtlinien in Großschlachtereien allerdings nicht. Die Auflagen sind dort genauso hoch wie bei kleinen Betrieben, aufgrund des hohen Schlachtaufkommens und der hohen Mitarbeiterzahl sind allerdings die Risiken wesentlich höher. 2019 wurden durch Deutschlands größten Fleischhersteller etwa 440.000 Rinder verarbeitet. Das sind über 1.200 Tiere pro Tag. Dabei sind Schweine und Geflügel noch nicht mitgezählt. Würde in einer Großschlachterei nur eine Person Colibakterien verbreiten, wäre in kürzester Zeit tonnenweise Fleisch kontaminiert, das in zahlreichen Supermärkten und in Gastronomien landet. So ein fahrlässiges Verhalten kann sich auch ein Großunternehmer nicht leisten. Doch die schnelle Ausbreitungsgefahr eines Corona-Virus wurde bei Tönnies offensichtlich unterschätzt.

 

Kleine Schlachtbetriebe sterben aus

Bei demeter ist man zuversichtlich, dass Bio nicht nur ein vorübergehender Trend ist. Wichtig wäre aber, dass sich die Strukturen für Biolandwirtschaft verbessern. So nimmt die Zahl der kleineren, regionalen  Schlachtereibetriebe rapide ab, was die Biobauern vor ein logistisches Problem stellt. »Ideal ist eine Schlachterei in der Nähe, denn Tiertransporte sind ein Stressfaktor für die Tiere und sollten möglichst kurz gehalten werden. Dem Preisdruck und den Hygieneauflagen, die häufig erneuert werden, können viele kleine Schlachtbetriebe aber nicht standhalten«, bedauert Antje Kölling. So wird es für Biolandwirte immer schwieriger, einen zuverlässigen Schlachtbetrieb in der Nähe zu finden, der ihren Ansprüchen und denen der qualitätsbewussten Kunden gerecht wird.

Gerade jetzt wird vielen Menschen wieder bewusst, wie wichtig regionale Wertschöpfungsketten sind. Im Lockdown und im angewiesenen Homeoffice wurde mehr selbst gekocht, und die Qualität der Lebensmittel bekam dadurch einen höheren Stellenwert. Bio ist Trend. In Sachen Krisenfestigkeit kann man mutmaßen, dass in kleiner strukturierten, vielseitigen Betrieben Infektionsausbrüche eher lokal und auf einen kleineren Personenkreis begrenzt blieben. Dies wäre noch ein Grund dafür, handwerkliche Lebensmittelverarbeitung in den Regionen zu erhalten und zu fördern. 

 

Mehr Wertschätzung für Fleischprodukt und Produzent

Bleibt nur zu hoffen, dass Verbraucher auch langfristig Herkunft und Haltung von Nutztieren, aber auch deren Zerlegung, sorgfältig auszuwählen wissen – und bereit sind, einen angemessenen Preis für hochwertige Qualität zu zahlen. Nur so kann erreicht werden, dass Massentierhaltung eingedämmt wird und bestenfalls auch die Arbeitsbedingungen von Produzenten und Dienstleistern auf einem sehr guten Niveau sind. Denn letztendlich sollte nicht nur das Produkt auf dem Teller hochwertig sein. Auch die Menschen, die es auf den Teller befördert haben, verdienen Wertschätzung.